Freigelassene
In der Zeit, seit es unsere Ausstellung gibt, wurden sechs der ersten sechzehn politischen Gefangenen freigelassen.
Am 1. August 2024 fand in der Türkei ein historisches Ereignis statt: 16 Häftlinge aus russischen Gefängnissen, darunter fünf der Helden unserer Ausstellung, wurden gegen 8 Russen (Geheimdienstmitarbeiter und Hacker), die in verschiedenen Ländern inhaftiert waren, ausgetauscht.
Die freigelassenen russischen politischen Gefangenen engagierten sich sofort im Kampf für die Unabhängigkeit der Ukraine und für ihre inhaftierten Kollegen.
Andrej Piwowarow und Lilija Tschanyschewa haben ein paar Worte speziell für die aktualisierte Ausstellung geschrieben.
Piwowarow: "Unendlicher Dank an alle, die mich in den drei Jahren und zwei Monaten unterstützt haben, die ich im russischen Gefängnis verbracht habe. Dank der Unterstützung von Menschen aus der ganzen Welt habe ich es geschafft, diese Prüfung zu überstehen. Ich bin jetzt bei meiner Familie, auch dank euch und eurer Arbeit.
Nun muss ich dafür sorgen, dass Russland ein freies Land wird, das seinen Nachbarn nicht mehr droht, damit es keine politischen Gefangenen mehr gibt und auf dieser schönen Ausstellung niemand mehr zu berichten hat."
Tschanyschewa: "Ich wurde dank Liebe aus dem Gefängnis entlassen. Die Liebe meines Mannes und aller mitfühlenden Bürger, die für meine Freiheit und die anderer politischer Gefangener kämpften. Liebe ist das, was uns verbindet, uns Kraft und Hoffnung gibt. Ich bin glücklich, in Freiheit zu sein und zur gleichen Zeit wie so wunderbare Menschen wie ihr zu leben! ❤️"
Ja, die Freilassung von 16 Menschen ist ein unglaubliches Glück, und wir sind den Regierungen Deutschlands, der USA und allen, die den Austausch ermöglicht haben, für diesen Akt der Menschlichkeit dankbar. Aber in russischen Gefängnissen sitzen noch über 2.000 Menschen, die aufgrund politisch motivierter Strafverfahren inhaftiert sind.
Vergessen wir nicht, dass der Westen auf dem Austausch des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny bestanden hat, aber im Februar 2024 wurde er in der Kolonie ermordet.
Damit andere mutige Russen nicht das Schicksal von Nawalny teilen, setzen wir unseren Kampf für ihre Freilassung fort und rufen euch auf zu helfen. Wie? Zumindest, indem ihr nicht für die Politiker stimmt, die Putin unterstützen.
Foto: Gennady Cherkasov
Ilja Jaschin
Politiker
8,5 Jahre Haft
Grund für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Politiker Ilja Jaschin war ein Stream auf seinem populären YouTube-Kanal, in dem er über die Verbrechen der russischen Armee in Butcha sprach. Jaschin hielt sich dabei nicht an die offizielle Version der Ereignisse, sondern berichtete offen über die Verbrechen des russischen Militärs und über die zahlreichen Zivilisten, die von russischen Soldaten bestialisch ermordet wurden. Straftaten, die von den russischen Behörden lapidar als „reine Provokation“ bezeichnet wurden.
Ihm wurde daraufhin zu verstehen gegeben, er solle entweder das Land verlassen oder fortan den Mund halten. Jaschin erklärte hingegen, er werde weder sein Land verlassen, noch damit aufhören, über diesen Krieg öffentlich zu sprechen.
In seinem Schlussplädoyer zu seinem ersten Prozess sagte Jaschin: „Putin ist ein Kriegsverbrecher. Am Ende werde ich ihm meinen Platz im Gefängnis überlassen. Es gibt mir Kraft, dass ich mich Dieben und Mördern, die die Macht ergriffen haben, moralisch überlegen fühle. Sie wissen, dass ich keine Angst vor ihnen habe. Ich bin nicht vor ihnen weggelaufen, habe nie um Gnade gebettelt oder mich in die Knie zwingen lassen. Es gibt mir Kraft, mich verantwortlich für mein Land zu fühlen.“
Ilja Jaschin ist seit vielen Jahren aktiver Gegner der russischen Regierung. Schon in den 2000er Jahren gehörte er mehreren Oppositionsbewegungen an, er war eng befreundet mit dem bekannten Oppositionspolitiker Boris Nemtsow, der praktisch direkt vor den Kremlmauern erschossen wurde. Auch Alexej Nawalny galt als politischer Gefährte und Freund Jaschins.
Zu Beginn seiner politischen Tätigkeit hatte Jaschin eine Neigung zu publikumswirksamen Aktionen: So seilte er sich im Herbst 2006 von einer Brücke in der Nähe des Kremls ab und präsentierte dabei ein Transparent mit der Parole: „Gebt dem Volk die Wahlen zurück, ihr Bastarde!“ Ein Jahr später kleideten er und ein Mitglied der Jugendbewegung Jabloko sich in feuerfeste Kostüme und zündeten sich auf dem Platz vor dem Kreml an. Dabei entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift: „Keine Nachfolger, oder ihr sollt in der Hölle schmoren!“ Gemeint war damit der geplante Tausch der Präsidentenrolle zwischen Putin und Medwedew, um die russische Verfassung auszuhebeln, die nur zwei Amtszeiten erlaubte.
Später versuchte Jaschin wiederholt, bei Parlamentswahlen auf verschiedenen Ebenen zu kandidieren, wurde aber jedes Mal auf rechtswidrige Weise von den Wahlen ausgeschlossen. 2017 gelang es ihm dann doch noch, zum Stadtverordneten des Bezirks Krasnoselsky in Moskau gewählt zu werden, später wurde er sogar Vorsitzender dieses zentralen Moskauer Stadtbezirks.
Ende 2022 wurde Ilja Jaschin in einem erneuten Prozess, zu 8,5 Jahren Gefängnis verurteilt. In seinem Schlussplädoyer appellierte er diesmal an die Bürger Russlands: „Bitte verzweifelt nicht und vergesst nicht, dass dies unser Land ist. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Seid mutig, weicht nicht zurück vor dem Bösen, leistet Widerstand. Steht ein für eure Straßen, für eure Städte. Und steht füreinander ein. Wir sind viel mehr, als es scheint, und wir sind eine gewaltige Kraft.“
Foto: Alexandra Astakhova
Wladimir Kara-Mursa
Politiker, Journalist
25 Jahre Haft
Am 28. April 2023 trat in Russland eine Gesetzesänderung in Kraft. Hochverrat konnte nun mit lebenslanger Haft bestraft werden. Man könnte sagen, der Politiker Wladimir Kara-Mursa habe insofern noch Glück gehabt, als dass er wegen Hochverrats angeklagt und „nur“ zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde. Schuldig gesprochen wurde er in drei Urteilen, eines wegen Hochverrats, bei dem es keine Urteilsbegründung gab und weiterhin wegen der Zusammenarbeit mit der von Michail Chodorkowski gegründeten „unerwünschten Organisation“ Open Russia Foundation, sowie wegen der „Verbreitung von Fake-News über die russische Armee“. Nur zwei Wochen später wäre der Schuldspruch mit großer Wahrscheinlichkeit noch härter ausgefallen.
Kara-Mursa ist seit vielen Jahren ein konsequenter Kritiker der russischen Regierung. Zusammen mit seinem Freund, dem von Auftragskillern direkt von den Kremlmauern ermordeten Politiker Boris Nemtsow, setzte er sich dafür ein, dass jene russischen Staatsbeamte, Geschäftsleute, Sicherheitskräfte und Richter bestraft werden sollten, die verantwortlich waren für den Tod des Rechtsanwalts Sergej Magnitski, der in der Haft verstarb. Kara-Mursa fragte bei US-Kongressabgeordneten an, ob die Verantwortlichen am Tod des Anwalts sanktioniert werden könnten. Diese Personen waren auf der sogenannten „Magnitski-Liste“ aufgeführt. Kara-Mursa setzte sich ebenfalls dafür ein, dass auch Personen auf die Liste kamen, denen generell „schwere Menschenrechtsverletzungen in Russland“ vorgeworfen wurden.
Im Gefängnis verschlechterte sich Kara-Mursas Gesundheitszustand rapide. Er nahm über 20 Kilogramm ab und es wurde eine Polyneuropathie der unteren Gliedmaßen diagnostiziert – eine Krankheit, die normalerweise zu Haftunfähigkeit führt. Sie ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Folge zweier Giftanschläge, denen Kara-Mursa 2015 und 2017 zum Opfer fiel und die er jeweils nur knapp überlebte. 2021 recherchierten Journalisten, dass er seinerzeit von genau denselben FSB-Offizieren verfolgt wurde, die man 2020 auf Alexej Nawalny angesetzt hatte.
Kara-Mursa ist sicher, dass der russische Staat ihn aus Rache für seine Oppositionstätigkeit und die Lobbyarbeit für das Magnitski-Gesetz ermorden wollte. Für die russische Obrigkeit ist er ein Staatsverräter, er selbst aber hält dieses Magnitski-Gesetz für „nicht anti-russisch, sondern pro-russisch.“ Er sagt: „Wenn in Russland ein normales Justizsystem entsteht, werde ich selbst der Erste sein, der die Aufhebung des Gesetzes fordert.“
Nach dem Beginn der großflächigen Invasion in der Ukraine bezog Kara-Mursa offen gegen den Krieg Stellung. Obwohl das Risiko einer Verhaftung immer realer wurde, weigerte er sich, das Land zu verlassen. Als er dann vor Gericht gestellt wurde, sagte er in seinem Schlussplädoyer: „Ich weiß, der Tag wird kommen, an dem sich die Dunkelheit über unserem Land lichten wird. Wenn man Schwarz wieder Schwarz nennen wird, und Weiß wieder Weiß, wenn offiziell anerkannt wird, dass zwei und zwei immer noch vier sind; wenn ein Krieg als Krieg und ein Usurpator als Usurpator bezeichnet wird; und wenn diejenigen, die diesen Krieg angestiftet und entfesselt haben, als Verbrecher anerkannt werden, und nicht diejenigen, die versucht haben, ihn zu stoppen.“
Der vorsitzende Richter Podoprigorow, der dem Politiker das Urteil verlas, steht ebenfalls auf der Magnitski-Liste.
Foto aus Instagram
Lilija Tschanyschewa
Politikerin
9,5 Jahre Haft
Lilija Tschanyschewa, Absolventin der renommierten Finanzakademie in Moskau, arbeitete als Wirtschaftsprüferin in einer Niederlassung des internationalen Unternehmens Deloitte in der Stadt Ufa in der russischen Teilrepublik Baschkirien. Lilija verdiente sehr gut, und sie hätte in ihrem Beruf Karriere machen können – stattdessen gab sie ihn 2017 auf, um fortan gegen das Putin-Regime zu kämpfen.
Sie übernahm die Leitung des lokalen Stabes von Alexej Nawalny in Ufa und startete eine rege politische Aktivität. So organisierte sie Kundgebungen und Demonstrationen oder unterstützte Bürgerinitiativen wie zum Beispiel jene gegen den geplanten Abbau von Kalkstein an dem als Naturdenkmal geschützten Berg Kuschtau. Sie bemühte sich sogar um eine Kandidatur bei den Wahlen zum Bezirksparlament ihrer Heimatstadt.
Als 2021 Nawalnys Bewegung als extremistisch eingestuft wurde und Nawalny selbst zu einer weiteren Haftstrafe verurteilt wurde, verließen viele seiner Anhänger und Mitarbeiter gezwungenermaßen das Land. Lilija blieb, beendete jedoch ihre politische Tätigkeit und widmete sich von da ab nur noch ihrer Familie. Noch sechs Monate, bevor sie selbst ebenfalls verhaftet wurde, heiratete sie. Statt Kinder zu bekommen, wie sie es sich wünschte, sitzt sie nun im Gefängnis. Ihr Ehemann, Almaz Gatin, kann sich immer noch nicht damit abfinden, aber er unterstützt seine Frau so gut er kann. „Ich bewundere meine Frau, wie stark sie ist und wie selbstlos sie für ihre Stadt, ihre Republik und die Menschen hier im Land kämpft. Ich bin dankbar dafür, dass ich einen solchen Menschen an meiner Seite habe, dafür, dass es sie gibt“, sagt er.
Die Anklage gegen Lilija lautete auf „Gründung einer extremistischen Vereinigung und Unterstützung einer Organisation, die die persönlichen Rechte der Bürger gefährdet“. Und das, obwohl sie mit nichts anderem als mit legalen politischen Protestaktionen zu tun hatte!
Das Gericht verurteilte Lilija Tschanyschewa am 14. Juni 2023 zu 7,5 Jahren Gefängnis. Im April 2024 wurde die Haftstrafe auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf 9,5 Jahre verlängert.
Foto aus Facebook
Andrej Piwowarow
Politiker
4 Jahre Haft
Am 31. Mai 2021 wurde in Sankt Petersburg ein Flugzeug, das sich schon auf der Startbahn befand, unvermittelt gestoppt – kurz vor seinem Abflug nach Warschau. Einer der Passagiere, Andrej Piwowarow, ehemaliger Direktor von Open Russia (einer von Michail Chodorkowskij gegründete Organisation) sah, wie sich ein Fahrzeug des FSB dem Flugzeug näherte und rief daraufhin seine Freundin Tatjana Usmanowa an.
Piwowarow wurde aus dem Flugzeug heraus festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt, es wurde Anklage erhoben wegen vorgeblicher Tätigkeit in einer „unerwünschten Organisation“. Nach russischem Recht sind solche Organisationen ausländische oder internationale gemeinnützige Organisationen, deren Tätigkeit „eine Bedrohung für die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung der Russischen Föderation, die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Staatssicherheit darstellen kann“. Sie dürfen auf dem Territorium der Russischen Föderation nicht tätig sein, und Russen, die mit solchen Organisationen zusammenarbeiten, drohen Haftstrafen.
Mit Stand Herbst 2023 gibt es bereits mehr als 100 solcher „unerwünschten Organisationen“ in Russland, darunter unabhängige Medien wie der Fernsehsender „TVRain“ oder die Zeitung „Novaya Gazeta Europe“ sowie „Greenpeace“ und der „World-Wildlife-Found“. Bisher wurden jedoch ausschließlich ehemalige Mitarbeiter von Open Russia strafrechtlich belangt, obwohl die Organisation im Mai 2021 ihre Tätigkeit in Russland beendete.
Am 15. Juli 2022 verurteilte das Gericht Piwowarow zu 4 Jahren Gefängnis. Seine Anhänger glauben, dass man den Politiker hinter Gittern gebracht hat, weil er seit vielen Jahren gegen das Putin-Regime kämpft und 2021 auch für die Wahlen zur Staatsduma kandidieren wollte. Erst zehn Tage vor seiner Festnahme hatte er ein Wahlkampfvideo veröffentlicht. „Natürlich waren mir die Risiken, die ich einging, immer bewusst. Aber ich habe keine Angst vor Druck und Schikanen. Und ich bin bereit, diese Verantwortung zu übernehmen. Ich habe einen Sohn. Er ist noch klein, er geht noch nicht zur Schule, und ich möchte, dass er in einem freien Russland aufwächst“, sagte Piwowarow. Seine Kandidatur hielt er aufrecht, musste seine Wahlkampagne aber aus der Gefängniszelle heraus führen.
Zur Zeit sitzt Piwowarow seine Haftstrafe in der karelischen Strafkolonie Nr. 7 ab. Er befindet sich dauerhaft nicht in einer gewöhnlichen Zelle, sondern in einem kleinen, separaten Raum, isoliert von den anderen Gefangenen. Im Grunde ist es ein „Gefängnis innerhalb des Gefängnisses“: das Bett, auf dem er schläft, wird von 5 bis 21 Uhr an die Wand hochgeklappt, schreiben darf er nur unter größter Einschränkung, man gibt ihm einen Bleistift „nach Zeitplan“. Der Zugang zu Informationen ist ihm verwehrt: Im Radio läuft nur Musik.
Im Juli 2023 hat Andrej Piwowarow seine Freundin Tatjana Usmanowa geheiratet. Die Hochzeit fand in der Strafkolonie statt.
Foto: Alexandra Astakhova
Sascha Skotschilenko
Künstlerin
7 Jahre Haft
Am Abend des 31. März 2022 betrat Sascha Skotschilenko einen Supermarkt in St. Petersburg und überklebte die Preisschilder an den Waren mit Informationen über den Beschuss des Mariupoler Theaters und den Tod ukrainischer Zivilisten. Eine 72-jährige Kundin beobachtete sie dabei und denunzierte sie. Im April 2022 wurde Sascha festgenommen, im November 2023 schließlich zu sieben Jahren Haft verurteilt.
2014 hatte Sascha einen Comicstrip mit dem Titel „Das Buch der Depression“ veröffentlicht. Darin erklärte sie, was diese Krankheit ist und wie man sie bei seinen Familienangehörigen oder seinen Freunden erkennen kann. Nach Kriegsbeginn nahm Skotschilenko an Protestaktionen teil und organisierte offene musikalische „Peace Jams“. Sie zeichnete eine Serie von Postkarten mit den Slogans: „Liebe ist stärker als Krieg und Tod“ und „Menschenleben haben keinen Preis“.
Im Gefängnis beklagte sich Skotschilenko wiederholt über ihren schlechten Gesundheitszustand, unter anderem auch das Wiederauftreten ihrer Depression. Angemessene medizinische Versorgung wurde ihr jedoch verwehrt. Sascha leidet an einer bipolaren affektiven Störung und einer Glutenunverträglichkeit, aber schon während ihrer Untersuchungshaft bekam sie weder die notwendigen Medikamente noch glutenfreies Essen.
In einem Brief aus dem Gefängnis schrieb Sascha: „Es hat sich so ergeben, dass ich gerade all das repräsentiere, was das Putin-Regime nicht tolerieren kann: Kreativität, Pazifismus, LGBT, psychologische Bildung, Feminismus, Humanismus und die Liebe zu allem Hellen, Vielfältigen, Ungewöhnlichen.“
Saschas Freundin Sofia Subbotina ist Initiatorin einer Kampagne zur Unterstützung der verurteilten Künstlerin. Ein ganzes Jahr lang durften sie sich nicht sehen und noch nicht einmal miteinander telefonieren. Im Sommer 2023 gab Sofia bekannt, dass bei ihr ein Krebsleiden diagnostiziert wurde.
Foto: AP
Alexej Moskaljow
Unternehmer
2 Jahre Haft
Am 24. April 2022 zeichnete Mascha Moskaljowa, Schülerin der sechsten Klasse in der kleinen Stadt Efremow in der Region Tula, im Kunstunterricht ein Anti-Kriegs-Bild. Es zeigte eine russische Flagge mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ und eine ukrainische Flagge mit der Aufschrift „Ruhm der Ukraine“. Dazwischen eine Frau, die ihr Kind vor russischen Raketen schützt. Maschas Lehrerin meldete das dem Schulleiter.
Als Maschas alleinerziehender Vater Alexej Moskaljow seine Tochter am nächsten Tag zur Schule brachte, wurden die beiden bereits von der Polizei erwartet und umgehend zum Verhör aufs Revier gebracht. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Polizisten die Profile des Vaters in den sozialen Netzwerken bereits überprüft und diesen Kommentar gefunden: „Die russische Armee: Vergewaltiger von nebenan.“ Noch am selben Tag wurde Moskaljow zu einer Geldstrafe von 32.000 Rubeln (etwa 320 Euro) verurteilt.
Und dann begann sich der russische Geheimdienst FSB für Moskaljow zu interessieren. Am 27. Dezember 2022 wurde gegen ihn ein Strafverfahren wegen „öffentlicher Diskreditierung des Einsatzes der Streitkräfte der Russischen Föderation“ eingeleitet. Drei Tage später wurde die Wohnung der Familie durchsucht: Computer, Handy und alles Bargeld wurde beschlagnahmt. Moskaljow selbst wurde zum Verhör gebracht. Auf dem Revier wurde er nach eigener Aussage „mit dem Kopf gegen Wand und Boden geschlagen“.
Am 2. März 2023 wurden Vater und Tochter voneinander getrennt: Das Gericht in Efremow stellte Alexej unter Hausarrest, seine Tochter Mascha wurde in ein soziales Rehabilitationszentrum für Minderjährige gesteckt. Die Trennung belastete sie beide sehr stark. Am 29. März schrieb Mascha ihrem Vater aus dem Heim: „Ich liebe dich sehr und weiß, dass dich keine Schuld trifft, ich werde immer zu dir halten, alles, was du tust, ist richtig. Bitte gib nicht auf. Eines Tages werden wir zu Hause an unserem Tisch sitzen und uns an alles erinnern. Wir sind stark, wir schaffen das, und ich werde für dich und uns beten, Papa.“
Das Menschenrechtszentrum Memorial, das 2022 den Friedensnobelpreis erhielt, versichert, dass noch nie zuvor in der Geschichte der Russischen Föderation ein Gericht ein Kind aus politischen Gründen von seinen Eltern getrennt hat. Zuletzt hatte es diese Praxis in den 1970er Jahren in der Sowjetunion gegeben, wo Kinder von politischen Gefangenen zwangsweise in Waisenhäusern untergebracht wurden.
Am 28. März 2023 wurde Alexej Moskaljow zu 1 Jahr und 10 Monaten Haft verurteilt, erschien aber nicht zur Urteilsverkündung. Er war aus dem Hausarrest geflohen, in der Hoffnung, dass er im Ausland mit Mascha wiedervereint werden könne. Bald darauf wurde er jedoch in Minsk festgenommen und am 3. Juli zu einer noch härteren Strafe verurteilt, ergänzt um ein zweijähriges Verbot der Betreibung von Internetwebseiten.
In seinem Schlussplädoyer vom 3. Juli 2023 bat Alexej Moskaljow darum, ihn zur Höchststrafe zu verurteilen und das so schnell wie möglich, weil er die Trennung von seiner Tochter nicht mehr ertragen könne. Er meinte damit die Todesstrafe, die seit 1999 durch ein Moratorium blockiert ist.